Der erste Wandermonat: Januar
1. Januar 2024:
Am Startpunkt: Picton auf der Südinsel von Neuseeland
Zahllose Flugstunden liegen hinter mir. Zuerst von Frankfurt/Main nach Guangshou in China. Hier dann fast 11 Stunden Aufenthalt im öden Transitbereich - ein Ort, an dem die Zeit noch langsamer zu vergehen scheint. Dann weiter nach Auckland. Von dort dann zur Hauptstadt Neuseelands, Wellington. Der Inlandsflug war ein Klacks im Vergleich zu den zuvor zurückgelegten 23.000 km.
Bei allerbestem Wetter fuhr dann die Fähre "Interislander" in dreieinhalb Stunden von der Nordinsel zur Südinsel über die Cook Strait - sie zählt zu den stürmischsten Meeresstraßen der Welt. Aber nicht an diesem Tag! Das Wetter ist uns wohlgesonnen und blauer Himmel spannt sich über uns.
Hier in Picton haben ich und meine Wanderkameradin Kathrin (sie ist in den letzten Monaten bereits Teile des Te Araroa auf der Nordinsel gewandert) nun eine vorerst letzte Nacht in einem Hostel. Morgen geht es dann relativ aufwändig mit einem Bootstaxi zum Ausgangspunkt des Queen Charlotte Trail in den Malborough Sounds, einem Gebiet tief eingeschnittener Fjorde und vorgelagerten Inseln.
Alles in allem: Gut angekommen und alles liegt bis jetzt weitgehend nach Plan! Das Wetter ist toll und die Vorfreude auf den Start morgen riesengroß.
02. Januar 2024:
Auf dem Queen Charlotte Trail
Wie schon angedeutet ist die Flughafenkontrolle in Neuseeland recht streng. Das industriell hergestellte Essen, in dem verarbeitetes Hühnchen enthalten ist, wurde sogar eingezogen. Im Hostel von Picton stellte sich dann auch noch heraus, dass vermutlich bereits in Frankfurt das Feuerzeug aus dem Aufgabegepäck entfernt wurde. Somit war klar, was in den wenigen Stunden in Picton bis zur Abfahrt des Wassertaxis (40 EUR, 1 Stunde Fahrt) nach Ships Cove noch zu erledigen war.
Allerdings hat es dennoch nicht geklappt mit dem Gas für den Kocher. So blieb nur der Rest in einer Kartusche, die mir ein anderer Thruhiker überlassen hat. Dafür habe ich jetzt wieder ein Feuerzeug.
Der Queen Charlotte Track ist ein 71 km langer Wanderweg (Permit-pflichtig), der auch für Mountainbike-Fahrer zugelassen ist (also vergleichsweise einfach für Wanderer). Er führt von Ships Cove nach Anakiwa und ist für Tages- und Mehrtageswanderer ausgebaut. An Campingplätzen mangelt es also auf diesem zum Netz der „großen Wander- und Radwege Neuseelands“ zählenden Weg nicht.
Aber dem fröhlichen und unvoreingenommenen Fernwanderer winkt öfter das Glück. Dieses Mal heißt es Wendy und Mike. Es war schon recht spät nach dem langen Tag, doch auf die Frage hin, ob ich bei ihnen das Zelt aufbauen darf, haben sie mich „wie selbstverständlich“ in ihre Familie aufgenommen. Ich durfte duschen, bekam Essen und habe sogar WLAN. So ein Glück und ich fühle große Dankbarkeit! Mike pilgerte auch den Camino in Spanien schon – somit war gleich ein Anknüpfungspunkt gefunden. So eine tolle Begegnung. Mit anderen Worten: Ich bin für die Nacht wunderbar versorgt.
Allerdings werde ich heute nicht alt. Drei Tage Anreise, 12 Stunden Zeitverschiebung und die ersten langen Kilometer in den Beinen – inzwischen beginnt auch hier die Dämmerung und ich gehe schlafen - Cowboy-Camping auf der Holzterrasse.
3. Januar 2024:
Black Rock Shelter am QCT
Ein wunderschöner Tag ist vorüber. Allerdings: Mein Rücken macht mir Probleme. Wer mir schon länger folgt weiß: eine alte Schwäche, die mich 2009 zu einer recht radikalen Änderung in meinem Leben zwang. Daher war es heute nur eine kurze Wanderung – lieber jetzt langsam anfangen wie allzu schnell größere Probleme zu haben. Acht gemütliche Kilometer mit etwas Rauf und Runter gab es. Und ein paar herrliche Bilder von meinem fliegenden Auge.
Die Nacht verbringe ich auf einem Campingplatz mit beeindruckendem Namen und noch beeindruckendem Ausblick: Black Rock Shelter.
Morgen früh möchte ich gerne so gegen 6 Uhr los. Ab 13 Uhr ist Regen gemeldet, so dass es schön wäre, dann im Zelt zu sitzen. Denn auf Dauer helfen auch die Schmerztabletten nicht.
6. Januar 2023:
Der QCT liegt hinter mir und ich bin in Havelock
Auch wenn sich das Wetter etwas eingetrübt hat und ich die letzten beiden Tage wechselnd mit meinem Rücken und den Nachwehen des Magen-Darm-Virus kurz vor Neujahr zu kämpfen hatte, so waren die Tage sehr schön. Eine durchregnete Nacht hielt das Zelt stand und blieb dicht: die erste Feuerprobe....äh, Regenprobe also bestanden.
Inzwischen bin ich in Havelock angekommen, habe endlich Gaskartuschen kaufen können (juhu: es gibt wieder heißen Kaffee zum Frühstück und Aufwärmen). Bin in einem Hostel untergekommen.
Für die nächsten Tage bis zur Rocks Hut habe ich Essen für fünf Tage plus ein Nottag eingekauft. Dort will ich vom Track einen Zeroday nehmen und in Nelson mich resupply-en. Noch wage ich nicht allzu große "Sprünge". Möchte erst sehen, ob ich langsam wieder voll fit bin. Nach der Rocks Hut geht es dann richtig in die Richmond Ranges. Diese Teilstrecke bis St. Arnaud ist eine der härtesten des südlichen Te Araroa.
Hier aber erst einmal noch ein paar Bilder der letzten Tage:
07.01.2024:
Von Havelock nach Pelorus Bridge
Die heutige Tagesetappe verlässt bei Havelock das Meer und folgt, recht eben noch, dem Pelorus River "bergauf". Der Fluß hat seinen Ursprung in den Richmond Ranges, zum Teil am Fuß des namensgebenden Mt. Richmond (1670m). Insgesamt 45 km folgt der TA dem Flußverlauf, eher der Weg Richtung Nelson abbiegt.
9. Januar 2024
Von Pelorus Bridge zur Captain Creek Hut
Vorgestern erreichte ich nach angenehmen ca. 22 km Pelorus Bridge. Der Weg führte von Havelock, dem letzten Resupply-Ort und Ende des QC-Tracks ins Landesinnere hinein. Bei zum Teil strahlendem Sonnenschein ging es über Weiden (also Privatgelände), durch Wald und über zahlreiche kleine Bäche (nasse Füße) nach Pelorus Bridge. Der Campingplatz dort ist der letzte, bevor es, dem Fluß folgend, in die Richmonds hinein geht. Diese Gebirgskette ist der nördlichste Ausläufer der Southern Alps.....dochr bis da hin sind es noch etliche Wochen!!
Früh am Morgen packte ich gestern dann mein Zelt zusammen und machte mich auf den Weg am Pelorus River entlang. Zum Glück haben sich Rückenschmerzen und Spätfolgen der Magen-Darm-Erkrankung weiter gebessert. Dennoch wollte ich nicht allzu weit laufen, um dem Genesungsprozess Zeit zu geben.
Der Weg führt, entlang des Flusses, ins Gebirge hinein. Es wurde am Tag bei schönem Wetter auch schon so richtig warm - da ich das geahnt hatte, war ich bewusst so früh unterwegs.
Die Natur umfängt mich mit einem enormen Reichtum an Geräuschen und Formen - aber vor allem riecht es hinter jeder Ecke neu und oft so gut! Der Frühsommer lässt die Natur erblühen. Der Wanderpfad ist gut zu gehen, auch wenn ich unter der Last des schweren Rucksacks (Essen für 5 Tage on Top) merke, dass mir die letzten Wochen vor Reisebeginn nicht mehr richtig die Chance zum Trainieren gaben. Die vielen Wurzeln quälen im Moment noch meine Fußgelenke.
Richtig übel sind bei den warm-feuchten Verhältnissen im Flußtal die scheinbar unvermeidlichen Midges. Wenn man mal etwas länger stehen bleibt, fallen die kleinen, blutsaugenden "Mikrobremsen" zu Hunderten über einen her. Ein 5-Minuten Flug mit meinem Mikroquadcopter wird da zur absoluten Qual. Für mich hieß das also: So schnell wie möglich weiter.
Die Captain Creek Hut ist eine der "Standard-Hütten" des Te Araroa auf der Südinsel. Solche Hütten stehen in halbwegs regelmäßigen Abständen und bieten meist für 6 bis 9 Wanderer einfache Schlafgelegenheiten an. Es sind fast ausnahmslos reine Selbstversorgerhütten, allerdings immer mit einer einfachen Holzheizung und allermeist Frischwasser in der Nähe. Die Qualität der Hütten reicht von nagelneu bis "gehört an sich abgerissen". Dass immer wieder Mäuse die Hütten als Futterquellen entdecken, liegt an der fehlenden Umsicht der Hiker. Offene Lebensmittelreste und einfach zu erreichende Vorratspakete führen dazu, dass Nachts ein sonderliches Eigenleben die Hütten erfüllen kann. Die eine oder andere Hütte werde womöglich auch ich davor zeltend meiden - aber das ist auch eine Frage des Wetters.
Anders wie 2019 sind vier Jahre später deutlich mehr Wanderer unterwegs, so dass die sechs Schlafkojen in der Captain Creek Hut schnell belegt waren.
Morgen geht es dann über 800 Höhenmeter hinauf auf die Kammlinie der Richmond Ranges. Auch da werde ich wieder früh starten, um die Kühle des Morgens zu nutzen.
10. – 11. Januar 2024
Höhenmeter-Kloppen auf dem Kamm - im Mt Richmond Forest Park
Kurz nach dem Start an der Captain Creek Hut geht es aus dem Flußtal heraus ins Gebirge. Über 800 Höhenmeter ist dieser erste Anstieg hoch. Doch noch bleibt man im Wald, der hier scheinbar endlos die Täler und Hänge bedeckt. Es duftet allerorts so wunderbar nach Sommer und zum Teil stimmgewaltig werden Brutreviere durch lauten Vogelgesang verteidigt. Der Weg wird nun endgültig zum Pfad. Die Bäume krallen sich mit ihren Wurzeln in den karger werdenden Boden und bilden ein dichtes Geflecht über den Weg. Auch mich wirft es einmal um und ich lande mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken ausgerechnet auf meinem Knie. Den Rest des Tages beobachte ich mit Bangen, ob der Schmerz heftiger wird – zum Glück werde ich morgen früh aufwachen und es ist schon wieder viel besser!
Die Slaty Hut ist das nächste Ziel. Eine kleine 6-Betten Hütte. Vom Dach führt ein Rohr zu einem großen Tank: So lange es ausreichend regnet, steht hier Wasser für die Wanderer zur Verfügung. Klar, zum Trinken wird es gefiltert, aber mal Hände, Gesicht und Füße kann man damit wunderbar reinigen. Die Sluty Hut ist die erste Hütte knapp über der Waldgrenze, was bedeutet, dass man nach Westen einen grandiosen Weitblick bis zur Tasman-See hat. Und das Wetter spielt mit: Es ist warm und sonnig.
Der nächste Wandertag zeigt dann endgültig, welchen Charakter die Überquerung der Richmond Ranges hat: Felsig, steinig und fast ständig über der Waldgrenze. Zusätzlich geht es permanent von einem Pass zum nächsten mit Ab- und Aufstiegen dazwischen. Man bewegt sich meist im Bereich von 1.300 bis 1.700 m Höhe. An diesem Tag pfeift der Wind über den Kamm, aber in der Sonne ist es herrlich warm. Und einen Vorteil hat der Wind: Er vertreibt die äußerst lästigen Gnitzen (Migets), die mich echt richtig fies am Pelorus River zerstochen haben (eigentlich beißen sie ja ähnlich den heimischen Bremsen). Selbst zwei Tage später sind meine Knöchel noch schmerzhaft geschwollen. Eben nicht nur durch die Belastung auf den rutschigen, sandig und gerölligen Ab- und Aufstiegen, sondern auch von dem Gift der kleinen Biester.
Der 11. Wandertag war richtig, richtig anstrengend. Ich weiß zwar nicht, wie viele Höhenmeter es waren, aber 1.000 Hm werden es gewiss gewesen sein. Da merke ich mit meinen 61 Jahren schon, dass das Training fehlte und die 11 Tage noch nicht ausgereicht haben, um genügend Reserven aufzubauen.
- Ein Teil der 130 km langen Strecke zwischen Havelock und St. Arnaud hat die Bezeichnung "Richmond Alpin Track". Dieser führt zum Teil ausgesetzt und sehr abgeschieden oberhalb der Waldgrenze entlang. Auch der "Red Hill Track" führt einen hinauf zu felsigen Gipfelhöhen.
In der Mt. Rintoul Hut - nach dem Gipfelaufstieg auf 1713 m (Mt. Rintoul) - geben mir zwei Mitwanderer gerne etwas von ihrem Essen ab. Was sie zu viel mitgenommen habe, fehlt mir, denn mein Körper verbrennt die Kalorien reichlich. Doch so ist es eine Win-Win-Situation: Die beiden müssen morgen etwas weniger tragen und ich „erkaufe“ mir durch das Geschenk einen Extratag. So kann ich die Etappen der nächsten Tage etwas kürzer planen und die Sehnen und Muskeln vor Überlastung schützen.
In Saint Arnaud, einem Dorf 67 km südwestlich von Nelson (größere Stadt an der Westküste), werde ich dann für einen Resupply mit dem Bus nach Nelson fahren und einen Zeroday einlegen: Erholung für den Gehapparat und den Rücken. Doch, das weiß ich jetzt schon, wir es mich bereits wieder magisch auf den Trekkingpfad ziehen. Vom langgestreckten Lake Rotoiti wird es dann wieder ins Gebirge gehen.
15.01.2024
Der anspruchsvollste Teilabschnitt liegt hinter mir
Zwar liegt der höchste Pass des Te Araroa noch weit vor mir, aber den technisch anspruchsvollsten Teilabschnitt habe ich nach 7 Tagen mit der Ankunft in St. Arnaud hinter mich gebracht. Glücklicherweise war fast die gesamte Zeit das Wetter traumhaft sonnig, wenn auch ziemlich windig.
Seit meiner ersten Durchquerung 2019 ist der Te Araroa inzwischen besser ausgeschildert. Auch ist der Wegverlauf wegen der größeren Anzahl Wanderer besser zu sehen. Dennoch bleibt es ein anspruchsvolles Auf und Ab zwischen Berggipfeln und breiten, wilden Flußtälern. Keine Forststrasse, keine raue Piste führt in das entlegene Hinterland und umgefallene Bäume liegen lange quer über den Weg, bevor das DOC (Department of Conservation; so in etwa: Naturschutzbehörde) jemanden vorbei schickt. Deswegen gibt es auch auf jeder Hütte (es sind 15 in diesem Teilabschnitt) die Warnung, bei Regen lieber zu warten und nicht das Risiko einzugehen, sich ernstlich zu verletzen.
Auch ich bin das eine oder andere Mal gestolpert und gestürzt. Gegen Ende eines Wandertages schwinden Kräfte und Konzentration. Mein Knie braucht jetzt auch erst einmal ein paar Tage Ruhe in Nelson.
18. Januar 2024:
Vier Tage Nelson an der Westküste
Drei Tage Auszeit vom Trekking waren als Erholung vorgesehen. Durch die mangelnde Vorbereitung sind meine Sprunggelenke leicht angeschwollen von der Anstrengung. Ausserdem tut mir das Knie weh, auf das ich vor einigen Tagen gestürzt bin.
Allerdings bleibe ich jetzt etwas länger, weil das Wetter im Moment....die Schleusen des Himmels sind geöffnet und ergissen sich über Nelson und den nahegelegenen Te Araroa.
Richtig schön ist, dass ich hier zwei Hiker vom Pacific Crest Trail getroffen habe. Tom hat sich leider auf einer der üblen Abstiege in die wüsten Flußbetten in den Richmonds ziemlich heftig verletzt. Er kuriert sich bereits seit zwei Wochen in Nelson aus. Und John ist jetzt auch noch zu uns gestoßen - beides begeisterte Weitwanderer wie ich. Ich erinnere mich noch sehr gut an die gemeinsame Zeit auf dem PCT in Amerika.
Ja, das Wetter ist richtig übel und ich bin froh, dass ich nicht weiter gelaufen bin. Der nächste Abschnitt wäre erneut 5 Tage im Hinterland gewesen. Mit einem sehr hohen und steilen Pass und zahlreichen Bach- und Flußquerungen - bei dem Sturzregen ist das eine ernstzunehmende zusätzliche Gefahr.
Ich habe beschlossen, dass ich erst bei der Boyle Campsite wieder auf den Te Araroa stoßen werde. Der anschließende Wegabschnitt ist 7 Tage lang - das traue ich mir zu. Für ganze 12 Tage das Essen von St. Arnaud nach Arthur`s Pass zu schleppen, wäre zu viel.
Inzwischen habe ich mir Nelson angeschaut, war einkaufen, Wäsche waschen, gute Gespräche geführt und...gestern auch bei einer Thai-Massage:
Ich fühle mich wie neugeboren, leicht wie ein Engel. Die erste Thai Massage meines Lebens und was soll ich sagen: es war traumhaft, mein Köper, den ich über viele Tage so unglaublich in Anspruch genommen habe, ging aus der (Ver)Spannung hinein in eine neue Empfindung. Mein Geist reiste mit der Massage durch meinen Körper, als ob er ihn neu beziehen wollte. Was für eine Stunde!
22. Januar 2024
Zu viele Zerodays in Nelson
Ihr ahnt nicht, wie sehr es mir in den Füssen juckt, endlich wieder auf den Trail zu gehen. Aus verschiedenen Umständen heraus habe ich eine Menge Zerodays in Nelson verbracht. Da war einerseits das Wetter, dass viel Regen im Gebirge gebracht hat, aber auch meine angeschwollenen Sprunggelenke, die Ruhe brauchten. Und zu guter Letzt auch die Zeit bis zu der Entscheidung, wie es mit der gemeinsamen Wanderschaft weiter gehen soll. Dazu will hier gar nicht viel sagen - es ist ein Thema zwischen zwei unterschiedlichen Menschen und Lebenswelten, das nicht in die Öffentlichkeit gehört.
Anderthalb Tage muß ich jetzt noch in Nelson ausharren. Inzwischen habe ich vom Botanische Garten über den Supermarkt bis zur Art Gallery und dem Hafen alles mögliche schon in der weitläufigen 54.000 Einwohner-Stadt gesehen. Ich plane noch einen Halbtagesausflug in den Abel Tasman Park (dieser Nationalpark ist einer der schönsten Waldgebiete ganz Neuseelands und wird von zwei wunderschönen, mehrtägigen "Bushwalks" durchquert. Der äußere, am Meer entlang gelegene Weg verbindet goldene Karibikstrände mit üppiger Urwaldvegetation, felsige Rippen mit tief eingeschnittenen Bachtälern, die von Hängebrücken überspannt werden. Er ist allerdings anmelde- und kostenpflichtig, will man auf dem Weg übernachten!), doch dann muß es wieder zurück auf den Te Araroa gehen.
Der Bus zu dem nächsten Einstiegspunkt - er verkehrt zwischen Nelson und Christchurch - fährt nur zwei Mal die Woche. Dieser Umstand unterstreicht nochmals, wie sehr die schmale, einsame Westküste durch das dazwischenliegende Gebirge vom weitläufigen Osten der Insel getrennt ist. Tatsächlich gibt es nur sehr wenige Pass-Strassen auf dem Weiterweg nach Süden, die der Te Araroa kreuzen wird.
Mein Plan ist es, an der Boyle Campsite wieder in den Trail einzusteigen. Der Bus fährt morgens um Acht Uhr, dann drei Stunden weiter Ankunft dort - da kann ich an dem Tag schon noch ein paar Kilometer machen. Ich freue mich sehr darauf, wieder die Beine laufen zu lassen und den Kopf frei zu haben für die Natur um mich herum. Wenn das Wetter mitspielt werde ich den einen oder anderen Wandertag mit dem Licht des Vollmondes beginnen. Es ist hat eine eigene Faszination, aus der Nacht heraus in den Morgen zu laufen. Nicht nur der Tag wird neu geboren - auch die Wanderseele!
Vier Tage später ist ein ziemlich bescheidener Regentag vorhergesagt. Für den habe ich mir am Arthur`s Pass eine Unterkunft für einen Pausentag gegönnt. Wenn Wetter, Wanderung und Rückkehr in eine kleine Zivilisationsinsel sich so gut planen lässt, dann kann man so einen miesen Regentag ein Schnippchen schlagen.
Im Moment erfreue ich mich an etwas, was nur die älteren Leser so richtig verstehen werden: In meiner neuen Unterkunft sind mit mir etliche junge Menschen aus aller Herrenländer untergekommen. Es ist ein quirliges, bisweilen lautes Leben voller Lachen, Enthusiasmus, Freude und Einvernehmlichkeit. Es ist zwar nicht nur ein Privileg der Jugend, unvoreingenommen zu sein, aber sie lebt es deutlich vor: die freuen sich einfach alle auf den Te Araroa und das nächste Abenteuer, das ja hinter jeder Wegbiegung steckt. Ich lasse mich von dieser Freude und Lebendigkeit gerne anstecken - selbst wenn ich eher still, mit einem Lächeln auf den Lippen, dem Treiben zuschaue.
Morgen früh gönne ich mir nochmals eine Thai-Massage. Das tat schon beim ersten Mal Wunder und ich lasse gerne meinen Körper noch etwas weiter auf die nächste Belastung vorbereiten. Doch dann muß ich auch wieder hinaus in die Natur - Wald schnuppern, das Kollern von losem Gestein unter meinen Schuhen spüren, das Rauschen von kleinen Bächen (hoffentlich keinen zu großen) hören, flauen Magen auf schwankenden Hängebrücken haben, neugierige Vögel an beliebten Rastplätzen füttern.....
24. Januar
Endlich wieder auf dem Trail
Um sechs Uhr habe ich mich aus dem Schlafraum geschlichen. Den Abend vorher hatte ich alles schon soweit gepackt, dass ich früh loskann. Der Bus brachte mich dann früh bis nach Murchison. Am Abzweig der 65 von der 6 ließ ich mich absetzen. Und keine 10 Minuten später nahm mich ein netter junger Mann die knapp 100 km Richtung Lewis Park mit. Und nun bin ich endlich wieder auf dem Ta Arora unterwegs.
Vermutlich bin ich sieben Tage ohne Mobilfunk - aber bei weitem nicht mehr so alleine auf dem Track wie 2019. Damals hatte ich in den Richmonds die Hütten meist für mich alleine und traf nur ganz, ganz wenige Wanderer - fünf Jahre später hat sich das schon deutlich geändert.
- Der Track von Boyle Campsite aus folgt einem über 250 Jahre alten Weg über den Harper Pass von der Ostküste zur Westküste. Bis der Te Araroa Arthur`s Pass erreicht, muss man auf der Westseite des Harper Pass zahllose Male den Taramakau- und Otehake River und deren Zuflüsse queren. Für erfahrene Wanderer sind die oft breiten Schotterbetten und zahlreichen Verästelungen bei normalem Wasserstand gut zu meistern. An den schwierigsten Stellen und Hochwasser gibt es zwar Umgehungen, die aber durchaus einen ganzen Tag dauern können.
Die erste Strecke von 29 km bis zur Hope Halfway Hut werde ich voraussichtlich nicht am ersten Tag schaffen – dazu starte ich zu spät am Tag in Richtung Harper Pass.
29. Januar
Angekommen am Arthur`s Pass
Die ersten beiden Tage ging es durch das breite Tal des Hurunui River Richtung Harper Pass hinauf.
Die klaren Nächte waren so kühl, dass morgens Reif auf den Gräsern und Ästen der Bäume lag. An sich starte ich ja sehr gerne schon früh in den Tag. Es hat einen besonderen Reiz, wenn die Natur aus der dunklen Nacht heraus langsam erwacht. An manchen Stellen lag der Morgennebel schwer über der Talsenke und trotz leichter Wandergamaschen wurden meine Beine und Füße vom feuchten Gras schnell naß und kalt.
Da feiert man doch die ersten Sonnenflecken, die einem die Wärme des frühen Morgens spenden. Das ist dann auch die Zeit für eine erste Pause und einen warmen Kaffee. Mehr als einmal besuchte mich bei so einer Pause der eine oder andere freche Piepmatz und schaute nach, was ich da treibe.
Mit dem Wetter ahatte ich n sich viel Glück. Tagsüber war es immer sehr sonnig und ein blauer Himmel breitete sich über dieser fantastischen Landschaft aus. Mal ging es auf schmalem Pfad durch Urwald entlang des Flußes, mal öffnete sich die Landschaft und man wanderte über eine breite Wiesenfläche. In der Früh konnte ich mehrmals Rehe beobachten, die sich noch nicht wieder in den Schutz des Waldes zurückgezogen hatten.
Überhaupt waren auf diesem Teilstück zwischen Lewis Pass und Arthur`s Pass wenige Wanderer unterwegs. Und so traf man sich an der einen oder anderen Hütte immer wieder mal.
Immer wieder sieht man dem Wald an, dass er gewohnt ist, regelmäßig Feuchtigkeit abzubekommen. Lange Baumbart-Flechten hängen von den dick bemoosten Ästen herab. Nach dem Pass ging es entlang des Taramakau River wieder bergab. Gab es schon vorher etliche „Rivercrossings“, wurde es auf der Westseite des Passes richtig wild. Immer wieder mußte man Bäche und Flüsschen queren. Welch ein Luxus, wenn dann eine Brücke ein tiefes Tal oder später den Hauptstrom querte. Ein sehr seltener Luxus.
In der letzten Nacht regnete es richtig heftig, weswegen ich am Tag zuvor noch so viele Kilometer wie möglich gemacht hatte. War dann am späten Nachmittag auch richtig fertig und erschöpft, alles schmerzte. Aber ich hatte die wildesten Wasserquerungen hinter mir. Nicht zuletzt mit Hilfe eines jungen Wanderpaares. Wir haben immer wieder aufeinander aufgepasst und gegenseitig geholfen, wenn das Wasser erst knietief, dann Oberschenkel-tief und schließlich bis zum Hosenbund ging. Allzu schnell verliert man im kräftig ziehenden Wasser auf den rutschigen Steinen den Halt. Ein junger Mann (den ich vermutlich 2022 auf dem PCT getroffen hatte) aus den USA ging an so einer Stelle „baden“. Das bedeutet dann, dass man nicht nur von oben bis unten im kalten Wasser eintaucht, sondern auch der Rucksack und die Sachen darin – mehr als unangenehm!
Nach der Sintflut-Nacht konnte man dann auch sehen, wie die schmalen Bäche angeschwollen waren und mehr als einmal wurde aus dem Wanderpfad das Bachbett: der Dschungelboden konnte das viele Wasser nicht mehr aufnehmen. Die breiteren Bäche und Zuflüsse wie der Otehake River werden dann unpassierbar und man muß warten, bis das Wasser wieder halbwegs abgeflossen ist.
Nach drei Tagen und knapp 100 km erreichte ich an der Morrison Footbridge wieder die Zivilisation. Der Alpine Highway führt wenige Kilometer später zum winzigen Wintersportort Arthur`s Pass. Hier habe ich eine Nacht in einem Backpacker Hostel verbracht.
31.01.2024
Von Arthur`s Pass zur Coleridge Lodge
Menschen und Geschichten entlang des Weges
Seit einem Monat bin ich inzwischen auf dem Te Araroa auf der Südinsel unterwegs. Die anspruchsvollste Strecke durch die Richmond Ranges liegt hinter mir. Diese Gebirgskette erfordert viel „Kraxeln“ im felsigen Gelände. Nicht umsonst heißt ein Teil der Strecke am Maungakura Massiv „Alpine Track“ – eben ein alpiner Weg.
Nach einer Auszeit in Nelson, die vor allem wetterbedingt etwas länger ausfiel, ging es dann am Lewis Pass wieder auf den Trekking Pfad. Der Pass liegt an einer der wenigen Verkehrsverbindungen zwischen der dicht besiedelten Ostseite und der sehr einsamen Westseite der Südinsel. Der Te Araroa folgt von hier aus einem alten Maoripfad, der schon vor Jahrhunderten die Ost- und Westküste miteinander verband. Die beiden langen Täler mit dem Harper Pass als Wasserscheide in der Mitte sind ein wunderbares Wandergebiet. Es geht lange Zeit durch die relativ flachen Talböden und flotte Wiesenpfade wechseln sich ab mit ausgewaschenen, rutschigen Urwaldpassagen. Doch eines brennt sich noch viel mehr in das Gedächtnis ein: die zahllosen Bach- und Flussquerungen.
Der Te Araroa ist nicht vergleichbar mit den meisten Wanderwegen, die man so kennt. Er ist wilder, abenteuerlicher, herausfordernder. Und er ist bei weitem nicht so gut ausgebaut wie zum Beispiel die großen Fernwanderwege in Europa oder den USA.
Selbst wenn man es vorhatte, die Schuhe vor dem Furten auszuziehen, um Socken und Schuhe trocken zu halten: Irgendwann nach der zehnten Furt geht jeder Wanderer einfach durchs Wasser und behält die Schuhe an. Denn es gibt nahezu keine Brücken auf diesem Weg fernab von Strassen und anderen Wegen. Und so muß man selbst bei „normalen“ Wetterverhältnissen das eine oder andere Mal durch fast hüfthohes Wasser waten. Bereits bei erheblich weniger Höhe kann Wasser sehr „mitreissend“ sein. In solchen Situationen ist es gut, wenn man sich mit anderen Wanderern zusammentun kann.
An einem dieser Bachbetten, in denen das Wasser lustig über grobe Felsblöcke zu Tal strömt, begegnete ich Bill. Oder eigentlich: ich begegnete ihm nicht. Denn er war gerade vor mir durch den Bach gewatet und ich rief ihm zu, dass er warten soll, bis ich drüben bin. Einfach, um notfalls mir helfen zu können, sollte ich ausrutschen und in das Wasser fallen. Doch er ging einfach weg, ignorierte meine Rufe. Das betrübte mich schon etwas.
Aber ich wandere nicht umsonst so gerne – die Begegnung auf solchen Fernwanderungen sind nahezu immer positiv. Und so war es auch dieses Mal: kurz nachdem ich mich mühsam durch das schiebende und drückende Wasser gequält hatte, kam ein junges Paar aus Amerika an die Stelle. Ich zeigte ihnen, wo es am besten geht und half ihnen mit einer hingereichten Hand wieder aus dem Bachbett heraus.
Binnen der nächsten zwei, drei Rivercrossings wurde ich zum Pfad-Finder für uns drei: “Der Frau folgen wir, die kennt die besten Stellen!“ Was überhaupt nicht stimmt, denn die Verläufe der Bäche ändern sich ständig. Aber ich kenne mich halt mit Rivercrossings schon besser aus.
So wurde ich für die Beiden an dem Tag zum Trailangel, der sie sicher durch alle Furten brachte, ohne dass wir nun fest aneinandergeklebt hätten.
Ohne Schadenfreude, denn wie leicht kann es einem selbst auch passieren: Bill, der Mann, der mich hatte am reißenden Bach stehen lassen, war, als er abends zur Hütte kam, in der wir alle übernachteten, noch immer von oben bis unten nass. Das Wasser hatte ihm die Füße unter den Beinen weggerissen und er war baden gegangen – inklusiv des Rucksacks und des gesamten Inhalts.
Wenige Tage später hatte ich dann großes Glück mit einem Trailangel für mich. Von der Lake Coleridge Powerlodge bis zur nächsten Strasse sind es über 30 km eine staubige, unbefestigte Landstrasse entlang. Ich war früh gestartet und so dauerte es fast zwei Stunden, bis eines der ersten Autos an dem Tag hielt…und mich mitnahm. Doch das eigentliche Glück kam dann in Form von Anja und ihrem Mann. Sie nahmen mich die ganzen 100 km nach Christchurch mit. Und wie wenn immer wieder der Beweis erbracht werden muß, dass die Welt klein geworden ist und es keine Zufälle gibt: Anja kommt aus Darmstadt und freute sich riesig, wieder einmal in ihrer Muttersprache reden zu können. Es war ein richtig schönes Gespräch.
Doch so einfach ließen sie mich nicht gehen. Erst durfte ich noch in einem Bioladen einkaufen, dann brachten sie mich zu einer Fleischerei, die wohl bekannt für ihre Qualität ist. Schließlich passte ich auf ihren Hund auf, während die beiden ihre Hasen beim Tierarzt behandeln ließen…..und zu guter Letzt luden sie mich noch zum Essen ein.
Das ist wahre Gastfreundschaft und war für beide Seiten ein Gewinn. Ich kam auf diese Weise nach Christchurch und bis zur Haustüre meines AirBnB. Und meine beiden Trailangel haben sich sehr über die Gespräche und Erzählungen gefreut. Ich fühle mich so reich und von Herzen beschenkt. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit erfüllt mich. So ein reicher Tag.....
Ja, und Tom, der Fernwanderer, der wie ich 2022 auf dem PCT war und den ich in Nelson getroffen hatte: Wir werden uns nochmals begegnen. Nach seinem schweren Unfall in den Richmond Ranges (ein Felsblock hatte sich im Schotterrand des Flusses gelöst und ihn schwer verletzt) hat er nun vor, von Queenstown nobo (northbound) zu wandern. Die meisten wandern von Norden nach Süden (sobo), doch ist von Queenstown aus der Weg Richtung Norden - wegen der milderen Landschaft dort - für das „wieder reinkommen ins Trekking“ besser geeignete.
Wir werden uns also mit Sicherheit begegnen. Auch auf dieses Treffen freue ich mich schon sehr. Wie ich selbst, empfindet auch Tom eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass er diese Möglichkeit bekommen hat, für mehrere Monate durch ein wunderschönes Land zu wandern. Dankbar dafür, dass er körperlich, mental und auch finanziell in der Lage ist, diese Freiheit erleben zu dürfen.
Es braucht das richtige Mindset, um trotz Rückschläge, Schwierigkeiten, Schmerzen und Anstrengung seine Freude nicht zu verlieren. Und wenn man doch eines Tages mal denkt: Ich kann nicht mehr, sollte man die eiserne Regel beachten, eine solche Entscheidung frühestens am nächsten Tag zu treffen und am besten erst nach dem nächsten Resupply. Denn meist sieht die Welt danach wieder besser aus.